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Von kleinen Eiszeiten und großen Hungersnöten

Die ersten beiden Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts waren geprägt durch starke Klimaschwankungen, vor allem in den Wintermonaten – sehr milde und extrem kalte und schneereiche Winter wechselten sich ab. Die Sommer waren ungewöhnlich feucht, in manchen Jahren soll von Mai bis September kein Sonnenstrahl durch die dichte Wolkendecke gedrungen sein. Im September 1606 erfroren die Trauben, im Sommer 1607 verdarben Starkregen, Überschwemmungen und Hagel die Getreideernte fast zur Gänze, der Winter 1608/09 wiederum war so mild, dass schon im Februar die Erdbeeren reiften. Während der Weinlese im Herbst 1610 fror der Wein in den Fässern. Im Mai und Juli 1612 zerstörten zwei Unwetter von nie gekannter Stärke die gesamte Ernte im Herzogtum, ganze Weinberge samt Mauern wurden in die Täler geschwemmt. Diese „kleine Eiszeit“ genannte Periode ungewöhnlicher, teils katastrophaler globaler Wetterphänomene hatte bereits Mitte des 14. Jahrhunderts begonnen und wurde nach neuesten Forschungen vermutlich von einer Veränderung der Sonneneinstrahlung im Zusammenhang mit Sonnenfleckenschwankungen ausgelöst. Auch die Zunahme vulkanischer Aktivität rund um den Erdball wird als weitere Ursache vermutet.

Dies alles hatte teils dramatische Auswirkungen auf das Alltagsleben in Südwestdeutschland. Für die Bevölkerung bedeutete es eine lange Phase von immer wiederkehrenden Ernteausfällen, die zu Hungersnöten, Seuchen, erhöhter Sterblichkeit und Bevölkerungsrückgang führten. Insbesondere für Städte wie Waiblingen, die ihren Wohlstand in der damaligen Zeit größtenteils aus Landwirtschaft und Handel schöpften, waren die Folgen weitreichend und nachhaltig. Die teils stark geminderten, teils auch komplett ausgefallenen Ernteerträge über mehrere Jahre führten zu einer immensen Teuerung. Eine Verdoppelung der Lebensmittelpreise innerhalb eines knappen Jahres war keine Seltenheit. Die Herrschaft in Stuttgart versuchte der Teuerung Herr zu werden, in dem sie großen Mengen an minderwertigem Geld in Umlauf brachte, was die Krise aber nur noch verschärfte. Im Oktober 1622 kam der Getreidehandel in Waiblingen gänzlich zum erliegen, den Verkauf von Brot hatten die Waiblinger Bäcker bereits Monate zuvor eingestellt, nachdem die Mehlvorräte aufgebraucht waren.

Daniel Mannasser: "Epitaphium oder deß guten Geldes Grabschrift." (Spottblatt auf die Münzfälschung) Augsburg um 1620; Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum

In vielen klimatisch besonders ungünstigen Lagen Württembergs wurde der Weinbau, bis Ende des 15. Jahrhunderts Haupterwerbszweig in der Region, notgedrungen aufgegeben - zu Gunsten von Streuobstwiesen mit unempfindlicheren Apfel- und Birnensorten, die unser Landschaftsbild bis heute prägen. Wein als Grundnahrungsmittel wurde vom Most abgelöst. Erst in den 1630er Jahren normalisierte sich das Klima wieder, die Ernteerträge stabilisierten sich, die Preise sanken und man wähnte sich in einer trügerischen Phase des steigenden Wohlstandes nach harten Jahren der Entbehrung.

Doch schon bald sollte der Schrecken zurückkommen: am 10. September 1634 fielen die kaiserliche Truppen in das Herzogtum ein und brachten die Gräuel des Dreißigjährigen Krieges mit aller Wucht in das bis dahin vom Krieg verschonte Herzogtum.

Literaturempfehlung:
Waltraud Düwel-Hösselbarth "Ernteglück und Hungersnot", Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2002

Abbildung oben: Das Amt Waiblingen in einem um 1600 vermutlich von Heinrich Schickhardt angelegten Atlas der Ämter des Herzogtums Württemberg (Ausschnitt); HStAS N 1 Nr. 70 Bl. 8