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Im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts lebte in Waiblingen Jakob Hegelmayer. Exemplarisch für das Leid, das der Dreißigjährige Krieg ab den 1630er Jahren über unsere Region brachte, steht die Geschichte der kleinen Maria Magdalena, seiner um 1628 geborenen Tochter. Als Hegelmayer 1665 in Esslingen, wohin es die Familie Hegelmaier nach der Zerstörung Waiblingens 1634 verschlagen hatte, sein Testament aufsetzt, lässt er in eindringlichen Worten die Geschichte seiner Familie Revue passieren. Er beschreibt, wie er seine sechsjährige Tochter im Chaos des Waiblinger Stadtbrandes verliert und tot glaubt, und sie dann nach Jahren wiederfindet. Der Vater macht sich in die Niederlande auf, wohin Magdalena von den kaiserlichen Truppen verschleppt worden war, um sie frei zu kaufen und zurück ins elterliche Haus zu holen. Ausgestattet mit Empfehlungsschreiben und Geld durch die Stadt Esslingen reist er durch die vom Krieg zerstörten Lande bis ins ferne Brüssel. Dort kauft er seine wiedergefundene Tochter frei. Dies ruft den zuständigen Bischof auf den Plan, der sich nicht um die väterlichen Gefühle des "fremdgläubigen" Prostestanten Hegelmaier schert und die zehnjährige Tochter in einem Kloster in Mons gefangensetzt, das sie wohl Zeit Lebens nicht mehr verlassen darf. Mit dem Tod des Vaters, der den Erbteil seiner Tochter treuhänderisch an ihren Bruder Hans Jacob, mittlerweile Pfarrer in Grunbach, überträgt um das Vermögen vor dem Zugriff des Klosters zu schützen, verliert sich Maria Magdalenas Spur.

"Es ist leider, Gott erbarm es, noch sowohl in hiesiger Stadt (Esslingen) als in der ganzen Nachbarschaft bei den Leuten, die alt genug sind, noch in frischem Angedenken, welchergestalt anno 1634 nach der bekannten Nördlinger Schlacht die spanische Armee die benachbarte württembergische Stadt Waiblingen, in welcher ich damals verbürgert und wohnhafft gewesen, unversehens feindlich angefallen und mit Gewalt eingenommen hat. Sie haben die Stadt nicht allein rein ausgeplündert sondern in grausamer Furie alles, was von Mann und Weibern, Alten und Jungen angetroffen, erbärmlich niedergehauen und jämmerlich ertötet. Auch haben sie die Stadt mit Feuer angesteckt und gänzlich in Aschen gelegt. Dadurch haben sie diejenige, so sich hin und wieder versteckt und verkrochen gehabt, herfürgetrieben. Die haben sie dann wieder mit Grimmigkeit in lichterlohen Brand gejagt. Die übrigen aber alt und jung, welche vom Schwert und Feuer übergeblieben, in höchst bejammerte Gefangenschaft genommen. Wie das Vieh haben sie diese teils da teils dorthin getrieben und geschleppt. Manche haben sie um großes Lösegeld gleichsam verkauft, viele aber in spanische und andere Länder gefänglich hinweggeführt. Die haben Tag ihres Lebens ihr Vaterland nicht mehr zu sehen bekommen. Unter diesen gefangenen und geraubten Personen hab ich ein leibliches noch junges und damals erst sechseinhalb Jahr altes Töchterlein gehabt, ein liebes Kind namens Maria Magdalena. Anfangs habe ich nit anders verinnert noch bei mir gewußt, denn daß das Kind durch den erschröcklichen Brand und Einäscherung der Stadt auch verzehret oder im Wasser der Rems, wie vielen begegnet, ertrunken oder sonsten durchs Schwert gefallen sein möchte. Nach geraumer Zeit brachte ich in Erfahrung, daß meine Tochter bis in die spanischen Niederland gefänglich geführt worden und zu Mons im Hennegau enthalten werde. Worauf ich nicht unterlassen. dieses einem löblichen Magistrat allhier zu Esslingen, der mich damals schon als Bürger angenommen hatte, zu erkennen gegeben und um die Erläubnis dahin zu reisen zu bitten. Ich bekam nicht nur die Erlaubnis sondern auch bewegliche Recommandationes und Bürgschaften, um mir meine Tochter gegen gebührenden Abtrag und Ranzion austragen zu lassen. Damit reiste ich alsbald 1637 in eigener Person bei den damaligen höchstteuren und unsicheren Kriegszeiten mitten durch etliche Armeen in höchster Leib- und Lebensgefahr bis nach Mons im Hennegau und endlich gar bis an den spanischen Hof nacher Brüssel. Hab auch anfangs meine Tochter ... persönlich angetroffen und völligen Verspruch bekommen, mir diese gegen Erlegnung eines Stück Geldes gutwillig folgen zu lassen. Es wurde darüber ein schriftlicher Recess abgefaßt und von beiden Teilen mit Handschlag und Sigill bekräfiigt. Als aber solches der Hochwürdige Bischof allda erfahren, hat er mich als einen Ketzer beschuldigt, die tractaten aufgehoben und mir mein leiblich Kind von neuem wiederumb mit unser beider höchstem Herzeleid und Traurigkeit mit Gewalt von meinen Augen und Händen hinwegreißen und in sein des Bischofs Verwahr nehmen lassen. Und ob ich da zu Mons vor dem Herrn Bischof zweimal alleruntertänigsten und demütigsten Fußfall getan und ... beweglichst demonstriert, daß man doch behertzigen wolle, wie ich und meine Tochter so viel Jammer, Angst und Not ausgestanden ... ich sagte auch mit Tränen, wie ich solche weite Reis durch Feind und Freunds Kriegsarmeen in vieler Leibs- und Lebensgefahr und mit sehr hohen Kosten nur dieser meiner Tochter zulieb vorgenommen, so wolle man sich doch über uns erbarmen ... Ich habe aber nirgends weder Gnad noch Barmherzigkeit erhalten können. Mit innerstem Hertzeleid mußte ...ich... erfahren, daß man sie ohnerachtet sie damals noch keine zehn Jahr alt war gewesen, de facto als eine Sklavin in ein Nonnenkloster gesteckt, allermaßen sie noch dieses Tages im Klarissen Kloster zu Mons enthalten wird. ...Immer noch habe ich bis dato gehofft, es sollte der liebe Gott und die Zeit endlich ein anderes vermitteln. Ich finde mich doch je länger je mehr aller Hoffnung verlustigt. ..."
(Übertragen 1988 durch den Waiblinger Dekan und Autor Walther Kuenzlen, in: Waiblinger Miniaturen, Verlag BONN AKTUELL GmbH, 1988)

Testament des Jakob Hegelmayer von 1665; Stadtarchiv Esslingen a.N: Bestand Privaturkunden Nr. 1288

Jacques Callot (1592 - 1635): Verheerung im 30jährigen Kriege

Abbildung oben: Das Amt Waiblingen in einem um 1600 vermutlich von Heinrich Schickhardt angelegten Atlas der Ämter des Herzogtums Württemberg (Ausschnitt); HStAS N 1 Nr. 70 Bl. 8